Das Schweigen brechen

Von jetzt auf gleich kann alles anders sein…

„Er hatte einen Schlaganfall. Hirntod“, erfahre ich gestern Vormittag. Die Nachricht trifft mich: Das kann doch nicht wahr sein… nicht er… nicht jetzt…

Der Mann steht kurz vor dem Renteneintrittsalter und leidet schon lange. Schwer, teilweise verborgen. Unter Vielem. Aber vor allem unter dem Schweigen, das an einer zentralen Stelle seines Lebens herrscht.

Er hatte die Hoffnung, es beenden zu können. Er hatte angefangen, sich Unterstützung zu holen – an verschiedenen Stellen, nicht nur bei mir. Er hatte sogar mit einer Gesprächstherapie begonnen. Er hatte Angst, Fehler zu begehen, wollte alles richtig machen, nichts Falsches sagen…

Dort wo es ihm am wichtigsten war, hatte er noch keine Worte gefunden. Ein Signal des Gegenübers, die Funkstille wenigstens kurzzeitig zu unterbrechen, hatte ihn unlängst noch aus der Bahn geworfen. Er war gedanklich nicht mehr schnell genug, emotional überfordert, konnte nicht damit umgehen. Ihm fehlte auch ein Bild von der Zukunft.

In seinem Umfeld wurde gesagt, dass manches eben Zeit brauche, Zeit um sich zu klären und zu entwickeln. Das gelte für beide Seiten.

Nun sieht es so aus, als sei die Zeit der Worte für ihn überraschend früh endgültig vorüber. Sein Gegenüber wird kein Gespräch mehr führen können, kein Gehör mehr finden, keine Antworten mehr bekommen.

Es werden Fragen offen bleiben. Ich fürchte, das wird auf Dauer schlimmer sein, als der Schmerz, den offene, wahrhaftige Worte beiden Seiten hätten zufügen können.

Ich habe heftig mit mir und diesem Beitrag gerungen. Darf/Sollte ich so etwas hier überhaupt posten?
Ich werde es tun.
Warum?
Nun: Ich denke, er hätte es so gewollt. Er hätte sich gewünscht, dass das Schweigen gebrochen wird. Das war sein Thema. Er hat darunter gelitten. Und er war sicher nicht allein damit…

Wenn endgültig Stille eintritt, wenn Worte nicht mehr gesagt werden können, wird deutlich, dass am Ende in erster Linie diejenigen leiden, die zurückbleiben.
Das hätte er nicht gewollt.

Wer diesen Beitrag liest, wird in aller Regel noch sprechen können. Vielleicht tut er es aber nicht. Aus welchem Grund auch immer.
Wer weiß? Vielleicht kann dieser Beitrag jemanden dazu bewegen, sein Schweigen zu brechen.

Das braucht manchmal auch Mut